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Oberes Eck mit Heimatmuseum, Schwabtor, Spitalstadel, Allerheiligenkapelle, Lachner-Geburtshaus und heutiges Lachner-Museum

Durch den Engpass zwischen den Häusern Hauptstr. 63 und 65 betreten wir das "Obere Eck".

Der Altstadtgrundriss zeigt, wie stark dieses Viertel nach Südwesten ausbuchtet. Aus der Vogelperspektive ähnelt der Grundriss der Rainer Altstadt dem Profil eines Vogelkopfes; das Obere Eck ist sein abgerundeter Schnabel. Das freistehende historische Gebäude (Oberes Eck Nr. 3), der ehemalige Salzstadel bzw. das einstige Feuerlöschgerätehaus, dient seit 1988 als Städtisches Heimatmuseum. Die zahlreichen interessanten und meist wertvollen Exponate hat der 1904 gegründete Lokalmuseumsverein im Verlauf des 20. Jahrhunderts gesammelt.

Das Rainer Heimatmuseum vermittelt seinem Besucher einen anschaulichen Überblick über den Alltag der Rainer Bürger und Bauern, über ihr Berufs- und Privatleben und über ihre Frömmigkeit in alter Zeit. Zu sehen gibt es barocke Klosterarbeiten, liturgische Gewänder und Gefäße sowie früheren Kirchenschmuck. Dargestellt sind zum Beispiel Geburt und Tod St. Johannes des Täufers, dem die Stadtpfarrkirche gewidmet ist. Im Heimatmuseum werden diese beiden Szenen ausgestellt. Sie entstammen dem neugotischen Farbglasfensterzyklus im Chor der hiesigen Stadtpfarrkirche, die in der Lauinger Werkstatt des Bernhard Mittermaier geschaffen und um 1880 eingesetzt, aber 1972 wieder entfernt wurden. Das Museum demonstriert zudem Rains geschichtliche Funktion als bayerische Grenzfestung sowie das historische Kriegshandwerk. Hauptattraktion ist das große Zinnfiguren-Diorama "Die Schlacht bei Rain am 14./15. April 1632", eine Leihgabe von Dr. Franz Weber (München).

In unmittelbarer Nachbarschaft zum Salzstadel existierten noch der Weinstadel und die Alte Kornschranne. Diese standen an Stelle der beiden jüngeren, rechtwinklig aneinander gebauten Lagertrakte, die heute unter der Hausnummer 2 zusammengefasst sind. In dem Haus Nr. 9 mit seinem hübschen Volutenschweifgiebel in imitiertem Rokokostil lässt sich seit Mitte des 18. Jahrhunderts eine ununterbrochene Kette von Gärtnereien nachweisen. Dieses Gebäude schließt das Obere Eck – gleich einer effektvollen Theaterkulisse – nach Westen ab. 

Markt- und Stadtrechte sowie Zollprivilegien 

Hier an einer der früheren Marktstätten Rains stellen wir uns nun die Frage: Wovon hat Rain oder wovon haben die Rainer früher gelebt?

Damals waren die Bürger Handeltreibende, Handwerker und Ackerbürger. Von Anfang an mit dem Marktprivileg ausgestattet, durfte die Stadt vier Jahrmärkte, wöchentliche Spezialmärkte wie Korn-, Salz- und Weinhandel sowie regelmäßige Lebensmittelwochenmärkte abhalten. Seit dem 14. Jahrhundert besaß Rain außerdem das Stapelrecht auf Salz, Wein und andere Kaufmannsgüter. Wenn ein durchziehender Händler nichts verkaufen wollte, so musste er mindestens einmal in der Stadt übernachten. Mit dieser Regelung nahm die Stadt verschiedene Gebühren ein, und die Rainer Wirte, Handwerker und Fuhrleute verdienten zusätzlich am Aufenthalt der passierenden Kaufmannszüge. Rain hatte zudem verschiedene Zollprivilegien. Seit 1404 musste alles Salz und Korn, das auf der Donau verschifft wurde, in Rain verzollt werden.

Von den Handwerkszünften waren die Tuchmacher, Färber und Weber, vor allem aber die Gastwirte und Bierbrauer die bedeutendsten. Zu dieser Zeit gab es siebzehn Kleinbrauereien in der winzigen Stadt. Weil die Rainer ihren im Überfluss produzierten Gerstensaft jedoch nicht alleine konsumieren konnten, "exportierten" die Brauer ihr Bier besonders in die freie Reichsstadt Augsburg. Seine wirtschaftliche Blütezeit erlebte Rain unbestritten im späten Mittelalter, im 14. und 15. Jahrhundert.

Das Schwabtor 

Vom Oberen Eck treten wir hinaus in den Schwabtorwinkel. Zur Linken fesselt unseren Blick das Haus Hauptstraße Nr. 71, das zweite der drei vornehmen Privathäuser in der Altstadt aus der Zeit um 1600. Die Spätrenaissancefassade dieses früheren "Rotgerberanwesens beim Schwabgerber", wie das Haus in alten Aufzeichnungen heißt, zieren ein Treppengiebel, kräftige Lisenen und verkröpfte Gesimse; die Giebelstufen sind halbkreisförmig bekrönt. Über den Erdgeschossfenstern des Bodeneckerkers sind in den Kielbogennischen zwei Wappen zu sehen: eines mit Sparren von links unten nach rechts oben und je einer Rose in den Zwickeln des Feldes, das andere mit zwei nach rechts springenden Hunden und Helmzier. Es sind die Wappen der einst hier ansässigen Familien von Furttner und von Ilten, die auch als Pfleger eingesetzt waren.

Das Schwabtor am westlichen Ausgang der Altstadt führte hinaus an den Lech und hinüber nach Schwaben. Es war wie das Bayertor durch ein massives Fallgitter gesichert. Auch war ihm – gleich dem Bayertor – eine abwehrkräftige Bastion mit zwei Brücken und einem starken runden Turm dazwischen vorgelagert. Vor dem Schwabtor stand seit ungefähr 1620 die "Blinde Schanze", ein an der Friedberger Ach errichteter "Halber Mond", dem südlich eine spitzwinklige Brustwehr folgte. Auf der Südseite, im eingehenden Winkel der Stadtmauer, befand sich ein kleines gemauertes Bollwerk, die "Major"- oder "Windmühlschanze". Außerhalb des breiten Wassergrabens vor der städtischen Heiliggeistmühle bis zur Ziegelbastei war eine Brustwehr postiert. Bis 1808 existierte vor dem Schwabtor die Richtstätte mit dem Galgen. Sie ist ebenso verschwunden wie der aus dem Jahr 1417 stammende gotische Schwabtorturm. Dieser wurde 1973 rekonstruiert. Im Zuge des Verkehrsausbaus wurde eine zweite Durchfahrt geschaffen, deren rechteckige Form, zum Teil in unhistorischer Betonausführung, also in krassem Gegensatz zur spitzbogigen Klinkerarchitektur des Torturms, gebildet wurde. Mangelnde Symmetrie und fehlende Ästhetik charakterisieren seitdem das "moderne" Rainer Schwabtor in unrühmlichem Sinn.

Im Mittelalter hielten Vogt und Geschworene lange Zeit unter dem Schwabtor ihre öffentlichen Gerichtstage ab. An seiner Innenseite sehen wir über dem Spitzbogen die Nachbildung eines ursprünglich steinernen bärtigen Männerkopfes mit der Inschrift "Sich auf" ("Sieh auf"). Die Darstellung wollte vermutlich den Hinausziehenden daran erinnern, dass er die bayerischen Lande verließ, und ihn zugleich zur Vorsicht mahnen, dass er sich im Ausland vorsah – gegen Widerwärtiges, verursacht durch eigene Schuld oder durch fremde Gewalttätigkeit.

Spitalstadel 

Östlich an das Schwabtor grenzt der Spitalstadel von 1468 an. Er gehört zum vierteiligen Spitalkomplex, der fast die ganze nördliche Häuserzeile der Spitalgasse ausmacht. Das Bürgerspital zum Hl. Geist (Spitalgasse 10) wird erstmals im Jahre 1462 erwähnt. Als wohltätige Stiftung des Rainer Bürgertums bot es seit dem späten Mittelalter armen und alten Leuten eine Heimat. Der 1468 errichtete Bau beherbergt nach seiner 1995 beendeten Sanierung und Renovierung ein Gesundheitszentrum und Sozialwohnungen.

Die ursprünglich spätgotische Spitalkirche "Zur hl. Dreifaltigkeit" mit Satteldach und Dachreiter, 1468 bis 1471 entstanden, erlebte 1718 einen barocken Umbau. Vor der Innenrenovierung im Jahr 1995 wurden unter mehreren Farbschichten spätgotische Fresken entdeckt, die sich zwar nicht freilegen lassen, aber beweisen, dass die Erneuerung von 1718 unter Verwendung der alten Außenmauern erfolgte. Der barocke Bau ist weitgehend unverändert erhalten geblieben und beglückt durch sein stilistisch einheitliches, harmonisches Inneres. Die flache Decke des saalähnlichen Gotteshauses ziert naturalistischer Rahmenstuck aus Profilleisten mit Akanthus, Blumen und Früchten. Die drei Altäre, vermutlich von 1719, stehen an der Ostwand nebeneinander. Der Hauptaltar in der Mitte, eine Stiftung des Rainer Ratsherrn Johann Georg Baumann und seiner Frau Regina, ist als viersäuliger Aufbau gestaltet. In der Nische thront die göttliche Dreifaltigkeit auf Wolken. Den Altar flankieren St. Ulrich und St. Benno; den Auszug krönt eine Statuette der hl. Regina, der Namenspatronin der Mitstifterin. Die beiden Seitenaltäre, Maria und Joseph geweiht, entsprechen in wenig vereinfachter Form dem Hauptaltar und wirken wie dieser merkwürdig antiquiert: Sie halten sich vielfach noch an den Formenschatz des 17. Jahrhunderts. Die Stuhlwangen mit geschnitztem Akanthus und gedrehten Pilastern stammen aus der Erbauungszeit des barocken Gotteshauses.

An der Außenwand befindet sich über dem Eingang ein spätgotischer Gedenkstein. Die 1471 entstandene Inschrift in gotischen Minuskeln erinnert an das Jahr 1417, als Ludwig der Gebartete Rains Festungsanlagen ausbauen ließ. Das Relief zeigt das herzogliche Wappen und die Jungfrau mit dem Raben des hl. Oswald. Inschrifttafel und Relief hatten ursprünglich sicher einen anderen Platz in der Stadt.

An die Spitalkirche schließt nach Osten – als letztes Glied des Spitalkomplexes – der um 1790 neu gebaute Spitalpfarrhof, auch Predigerbenefizium genannt (Nr. 6), an. Bis 1969 wohnten hier die seit 1511 nachweisbaren Rainer Stadtprediger.

Schräg gegenüber steht die repräsentative Stadtapotheke (Spitalgasse 1), das dritte stattliche Wohngebäude in der Altstadt im Stil des Übergangs von der Renaissance zum Barock. "Haus am Schrannenplatz" hieß es zuerst. Seit 1857 war es die "Landgerichtsapotheke", seit 1931 ist es die "Stadtapotheke". Von 1828 an lässt sich in dem Haus eine lückenlose Reihe von Apothekern nachweisen. Zuvor diente es als Gästehaus für das Rainer Schloss und als Wohnung für den Pfleger bzw. Landrichter. Bis zu 1,30 m dick sind die Feldsteinmauern im Erdgeschoss. Die vornehme Fassade läuft in einen geschweiften Giebel mit zierlicher Pilastergliederung aus. Möglicherweise wurden die beiden runden Eckerker erst später angebaut.

Die Allerheiligenkapelle mit Karner

Dass die Allerheiligenkapelle von 1471 (Kirchplatz Nr. 5) mit ihren charakteristischen Strebepfeilern samt Pultdach und schlankem Turm heute noch steht, verdankt sie dem Rainer Stadtpfarrer Bartholomäus Kerscher († 1829). Dieser kaufte 1813 das säkularisierte Gotteshaus und schenkte es später testamentarisch der Stadt Rain mit der Auflage, dass sie es nie wieder verkaufen oder gar abbrechen dürfe. 1830 ging es schließlich in städtischen Besitz über. Ab 1904 diente die ehemalige Kirche dem Rainer Lokalmuseumsverein als Heimatmuseum. Wegen Platzmangels wich dieses fragwürdige Provisorium dem neuen Heimatmuseum im Oberen Eck, das 1988 eröffnet wurde.

Die einstige Allerheiligenkapelle ist ein einschiffiger, nach Osten und Westen dreiseitig geschlossener spätgotischer Bau. Eine steinerne Bauinschrift außen an der Südwestecke besagt, dass mit dem Bau am Montag nach dem Fronleichnamstag 1471 begonnen wurde. Seine im ausgehenden 17. Jahrhundert erneuerte, flache Decke ziert hochbarocker Stuck aus Rahmen, Muscheln und leichtem Akanthus; in der Mitte des Feldes prangt das Jesusmonogramm.

Das Schmuckstück des Innenraums ist der hochbarocke Altar mit seinem wuchtigen Aufbau, dessen sechs Säulen korinthische Kapitelle tragen. Der zwischen 1699 und 1701 gefertigte Altar stand anfangs in der zweiten Rochuskirche auf dem Friedhof südöstlich vor der Ziegelschanze und wurde wenig später, bald nach Ausbruch des Spanischen Erbfolgekriegs, aus Sicherheitsgründen in die Allerheiligenkapelle innerhalb der Stadtmauer transferiert. Der Altar ist eine Stiftung des Rainer Magistratsrats und späteren Rainer Bürgermeisters Ulrich Hirschhalmer und seiner Gattin Sabina. Hirschhalmer, von Beruf Maler, ist vermutlich auch der Schöpfer des in Öl auf Leinwand gemalten Altarblatts. Es zeigt das relativ seltene hoch- und spätbarocke Andachtsmotiv der "Sieben Zufluchten": oben die Dreifaltigkeit, im mittleren Teil den gekreuzigten Christus, die Eucharistie und die Gottesmutter Maria, darunter Engel und Heilige, ganz unten die Armen Seelen. Über dem Hauptbild ist der Pestpatron St. Rochus in Pilgertracht mit Pestwundmal und Hund samt Brotstück dargestellt, unterhalb der Zufluchten St. Johannes Nepomuk, seitlich des Hauptbildes die Schnitzgruppen des hl. Josef mit Jesuskind und der Mutter Anna mit ihrer kleinen Tochter Maria, darunter die Bildnisse Maria vom Trost und des hl. Nikolaus von Tolentino.

Gruft und Karner im Tiefgeschoss der Allerheiligenkapelle weisen auf ihre frühere Bestimmung als Friedhofskirche hin. Um neue Begräbnisplätze im räumlich sehr beschränkten Stadtpfarrkirchhof zu schaffen, wurden immer wieder Gebeine ausgegraben und in den Karner der Allerheiligenkapelle gebracht. Die zum Teil beschrifteten Schädel stammen überwiegend aus dem 17. Jahrhundert. Die Gruftkapelle des aufgehobenen Gotteshauses, ein tonnengewölbter Raum mit Stichkappen, präsentiert sich heute völlig schmucklos.

In unserer Zeit untersuchte ein Team um Prof. Dr. Andreas Nerlich vom Pathologischen Institut der Ludwig-Maximilians-Universität München die Schädel und Gebeine von über 2500 bestatteten Personen aus der Rainer Allerheiligenkapelle. Den Kontakt zu Professor Dr. Andreas Nerlich konnte der Freundeskreis Alt Rain e. V. durch eine glückliche Fügung herstellen. Zur Sanierung des Karners mussten die Gebeine vorübergehend entnommen werden. Sie stellen ein ungemein wertvolles Archivmaterial aus unserer Region über den erforschten Zeitraum vom 15. bis zum beginnenden 19. Jahrhundert dar. Durch die große Zahl gut erhaltener Knochen konnte das Team an etwa zwei Dritteln der gesamten Rainer Bevölkerung aus rund vier Jahrhunderten forschen. So ergab sich für die Wissenschaftler ein relativ geschlossenes Bild mit interessanten Ergebnissen, welche das bisherige Wissen zum Teil auf den Kopf stellten. Abgesehen von Rückschlüssen auf Umfeld und Lebensgewohnheiten unserer Vorfahren brachten die Untersuchungen an den Gebeinen aus der Rainer Allerheiligenkapelle folgende neue Erkenntnisse: Erstmals konnte die Existenz von Malaria in Süddeutschland bestätigt werden. Nach dem traditionellen Wissensstand waren Leprakranke noch zu Lebzeiten für tot erklärt, aus dem Gemeinschaftsleben verbannt und später auf eigenen, isolierten Friedhöfen beigesetzt worden. Erstmalig und bislang einzig in Rain ließ sich die Bestattung von Leprakranken auf dem normalen Friedhof bzw. Kirchhof, also innerhalb der Stadtmauern, nachweisen.

Lachner-Geburtshaus und heutiges Lachner-Museum 

In dem Häuschen Nr. 7 am Kirchplatz, der früheren städtischen Organistenwohnung und der Geburtsstätte der sechs romantischen Musikergeschwister Lachner, hat die Stadt Rain 1989 ein Lachner-Museum eröffnet. Das Lachner-Haus ist ein bedeutendes deutsches Kulturdenkmal – hat es doch seit dem frühen 19. Jahrhundert außen wie innen so gut wie keine Veränderungen erfahren. Der berühmteste Spross der Musikerfamilie Lachner, Franz (1803–1890), wirkte nach Kapellmeisterjahren in Wien und Mannheim fast 32 Jahre als königlich-bayerischer Hofkapellmeister in München. Ignaz (1807–1895) bekleidete Kapellmeisterposten in Wien, Stuttgart, München, Hamburg, Stockholm und Frankfurt am Main, während Vinzenz (1811–1893) beinahe 37 Jahre als großherzoglich-badischer Hofkapellmeister in Mannheim tätig war. Die drei Brüder gehörten zu den konservativen, klassizistischen Vertretern des romantischen Musiklebens. Als Dirigenten und Komponisten bewahrten sie das klassische Wiener Erbe. Franz und Ignaz hatten in Wien zum Schubertschen Freundeskreis gehört. Die konservativen Lachners standen im Gegensatz zur "Neudeutschen Schule", vor allem zu Richard Wagner und seinen Anhängern.

Im Lachner-Haus sind außerdem der Stiefbruder Theodor (1795–1877), Organist an der Damenstifts- und Peterskirche in München, sowie die Schwestern Thekla (1801–1869), Organistin an St. Georg und St. Maximilian zu Augsburg, und Christina (1805–1858), Organistin an der Rainer Stadtpfarrkirche, geboren. Erschütternd sind die bitterarmen, bedrängten sozialen Verhältnisse, in denen die Lachners aufwuchsen. In den vier kleinen Räumen im Organistenhaus lebten achtzehn Personen: die Eltern und sechzehn Kinder.

Außergewöhnlich und einmalig war der Musikunterricht, den der pädagogisch geschickte Vater seinen Sprösslingen gab. Weil man sich kein Klavier leisten konnte, malte er auf die Holzbank der Wohnstube in vielfacher Ausführung die Klaviatur. Auf niederen Schemeln sitzend, übten die Kinder gleichzeitig stumm nach Vorlagen, die ihnen der Vater auf Schiefertäfelchen geschrieben hatte. Durch das lautlose Üben störte keines das andere. Am Wochenende durften die Kinder dann an der Kirchenorgel proben.

Das Gebrüder-Lachner-Museum zeigt Exponate – Originale und Kopien – zu Leben und Wirken der Lachners. Eine wertvolle Bereicherung erfuhr das Museum durch die Stiftung des originalen künstlerischen Nachlasses von Vinzenz Lachner sowie von Originaldokumenten bezüglich Ignaz Lachner durch die Urenkel der beiden Komponisten, die in Costa Rica (Mittelamerika) und in Norddeutschland leben. Die frühere Wohnstube im Parterre behandelt die Themen "Die Lachners und Rain" sowie "Theodor Lachner". Die ehemalige Küche dahinter ist Vinzenz gewidmet, während die kleine Kammer im Obergeschoss das Andenken an Ignaz und das "geräumige" Schlafzimmer daneben, das Geburtszimmer der Lachnerkinder, die Erinnerung an Franz wachhält. Die kostbarsten Ausstellungsstücke des Hauses sind ein aus dem 19. Jahrhundert stammendes Originalexemplar der von dem Münchener Künstler Heubusch nachgestochenen berühmten Franz-Lachner-Rolle des romantischen Zeichners, Malers und Lachner-Freundes Moritz von Schwind, das im Franz-Lachner-Raum in einer Vitrine zu sehen ist, sowie ein originales Ölporträt Franz Lachners von seinem aus Budapest stammenden Zeitgenossen Alexander von Wagner (im oberen Flur an der Speichertreppe).

Die Gedenktafel für Franz Lachner mit dem bronzenen Brustporträtrelief des Musikers an der Museumsfassade hat kurz nach dessen Tod 1890 der in München tätige klassizistische Bildhauer Johann Pollak, ein gebürtiger Rainer, geschaffen – pikanterweise auf Initiative des Rainer "Liederkranzes" und nicht des Rainer Magistrats.

Wir kommen zur Geburtsstätte des neunten und letzten Musikers, der am Kirchplatz das Licht der Welt erblickte: Es ist das Raucheisen-Haus (Nr. 9). Michael Raucheisen, der einst weltberühmte Kammermusikpianist und Liedbegleiter, wurde hier am 10. Februar 1889 als Sohn eines Chorregenten und Glasermeisters geboren. Zunächst zum Streicher ausgebildet, begann Raucheisen seine Künstlerlaufbahn in München als Geiger und Bratschist im Hoforchester und in der Münchener Kammermusikvereinigung. Gleichzeitig studierte er Klavier und Orgel. 1908 wurde er stellvertretender Organist an der St.-Michaels-Hofkirche in München. 1912 gründete er im Münchener Volkstheater die beliebten Musikalischen Morgenaufführungen und trat in diesen Sonntagsmatineen bis 1920 als Klaviersolist und Liedbegleiter auf. Vor allem als Klavierbegleiter leistete Raucheisen bis ins Alter Außergewöhnliches. Nach seinen eigenen Aussagen begleitete er – nicht zuletzt auf Konzertreisen durch fast alle Erdteile – an die tausend Sänger und Instrumentalisten, darunter den berühmten Wiener Violinvirtuosen Fritz Kreisler, Sänger wie Julius Patzak, Hans Hotter und Peter Anders sowie Sängerinnen wie Elisabeth Schwarzkopf, Erna Berger, Tiana Lemnitz, Maria Müller, Rudolf Bockelmann und Maria Ivogün, die damals weltweit renommierte Koloratursopranistin, eine der größten Opern- und Konzertsängerinnen des 20. Jahrhunderts. Raucheisen heiratete sie 1933 in dritter Ehe. 1920 siedelte Raucheisen von München nach Berlin über. Dort war er am Rundfunk von 1940 bis 1945 künstlerischer Leiter der Abteilungen Lied und Kammermusik. Mit 69 Jahren trat Raucheisen in den Ruhestand. 1984 ist er im Alter von 95 Jahren im schweizerischen Beatenberg hoch über dem Thuner See gestorben.